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Mediterranisierung


Markus Weinkopf M.A. - 17. Oktober 2018

Konflikte vorprogrammiert?

Medi…, was? Der Begriff Mediterranisierung hat noch nicht Eingang in das große deutsche Rechtschreibwörterbuch gefunden, wird aber bereits in der Internet-Enzyklopädie Wikipedia definiert:

„Mediterranisierung bezeichnet das seit etwa der Jahrtausendwende aufkommende Phänomen in mitteleuropäischen Großstädten, Möglichkeiten öffentlicher Raumnutzung aus touristischen Städten des Mittelmeerraums zu importieren und zu adaptieren. Die Entwicklung steht im Konflikt zu traditionellen Sommeraktivitäten nicht-mediterraner Städte und löste verschiedene Debatten zu den Themen Städteplanung, Tourismus und Zusammenleben aus.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Mediterranisierung Zugriff: 29.06.2018

Noch wird dieses Phänomen in der Gesellschaft kaum thematisiert, aber durchaus von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen. Jeder von uns hat selbst die Situation schon genossen, an einem lauen Sommerabend auf der Terrasse eines Restaurants, meist eine Teilfläche des öffentlichen Straßenraums, sich bei einem Gläschen Wein mit Freunden zu unterhalten. Verführt durch die gelöste Stimmung, die an Urlaub in südlichen Gefilden erinnert, entsteht ein Lebensgefühl, das so bis vor wenigen Jahren in unseren Breitengraden nicht Thema war und deshalb auch keinen Namen hatte.

Der weitere Exkurs dient einerseits der Erläuterung der Begrifflichkeit insbesondere im Kontext mit dem Thema Konfliktbewältigung und andererseits der Veranschaulichung des Aufeinandertreffens unterschiedlicher Lebensweisen ohne interkulturelle Gründe als Phänomen der Streitkultur.

Im Restaurant wird aufgrund der Sondernutzungserlaubnis, die Nutzungszeiten berücksichtigend, der Betrieb im Freien spätestens um Mitternacht zu Ende gehen. So zumindest in München seit 2015 auf Beschluss des Stadtrates. Die Anwohner rund um die Gaststätte können spätestens dann, auch bei geöffnetem Fenster, ihre Nachtruhe finden. Anders dort, wo es keine Regelung für den Aufenthalt gibt, also auf öffentlicher Fläche in Straßen, auf Plätzen, in Parks und überall dort in unseren urbanen Gemeinwesen, wo Leben – zumindest tagsüber – üblicherweise stattfindet. Und nachts? Je mehr Lärmentwicklung untertags unseren Tagesablauf beeinträchtigt, desto größer wird der Bedarf an Ruhe nachts. Der Anspruch auf Nachtruhe besteht traditionell, aber eben auch aktuell bei den meisten Menschen unserer Gesellschaft. Dazu gibt es Regelungen, die im privaten und gewerblichen Bereich durch städtische Satzung und Immissionsschutzgesetz oder im Verkehr beispielsweise durch Gebote der Geschwindigkeitsreduzierung lärmmindernd wirken. Für den Aufenthalt von Menschen im öffentlichen Bereich, gibt es in unseren Städten bisher keine einschränkenden Verordnungen. Das wird auch so nicht gewünscht. Ist doch die Freiluft-Kultur, wie die Mediterranisierung auch genannt werden kann, für die Stadtgesellschaft ein willkommenes Zeichen von Liberalität, Offenheit und Weltläufigkeit. Wäre da nicht der liebe Nachbar. Anwohner empfinden zunehmend Menschenansammlungen nachts störend. Leute, die sich bei einem Bier in der Hand mit anderen unterhalten sind in großen Mengen laut. Zu laut für die, die schlafen wollen. Insbesondere dort, wo es bei klimatisch günstigen Bedingungen jede Nacht geschieht. Die Hot Spots sind inzwischen im Bereich Konfliktmanagement im öffentlichen Raum bekannt. In München der Gärtnerplatz, in Köln der Brüsseler Platz und in Berlin die Admiralsbrücke. Mögen andere Orte hinzukommen, so bleiben diese im Fokus der Stadtverwaltungen. Keine der bisher angewandten Maßnahmen haben wirklich zu einer Lösung geführt. Der Versuch einer Mediation scheiterte an der Anonymität der zweiten Konfliktpartei. Während Anwohner sich formierten und durch Delegierte vertreten waren blieben die Plätze auf der „anderen Seite“ leer. Mediatoren standen bereit, Bezirkspolitiker, Ordnungsamt und Polizei waren vertreten, aber eben der vermeintliche Auslöser des Konflikts war nicht greifbar, wenn auch im Vorfeld einzelne Personen des „Party-Volkes“ angesprochen und animiert wurden, an einem Vermittlungsverfahren teilzunehmen. Ihre Anwesenheit wäre auch von niemandem legitimiert gewesen und hätte somit nur eine Alibifunktion gehabt.

Seitens der Kommunen werden inzwischen Anstrengungen unternommen, die Lärmentwicklung auf Plätzen zu reduzieren. So gibt es Streifen von städtischen Mitarbeitern wie AKIM (Allparteiliches Konfliktmanagement in München) in München, die deeskalierend auf die Feierstimmung wirken sollen, ohne Spielverderber zu sein. Hier sind bereits Erfolge zu verzeichnen.

Das Phänomen der Mediterranisierung hat sich aber längst auf halböffentliche Bereiche verlagert. Spielplätze mit Bänken in Höfen großer Wohnanlagen werden immer öfter als Ort spontaner Partys am Feierabend entdeckt. Oft sind auch noch die halbwüchsigen Kinder bis spät nach 20.00 Uhr dabei. Es erinnert tatsächlich an italienische Städte, wo wir im Urlaub munteres Treiben bis in die späten Abendstunden durchaus genießen. Aber bei uns daheim? Die Gelegenheit die Konfliktparteien zu identifizieren ist hier zwar gegeben, doch scheitern Vermittlungsverfahren meist einfach daran, dass die unterschiedlichen Lebensauffassungen keine Annäherungen zulassen. Wie Ideologien werden die Bedürfnisse nach Ruhe einerseits und das Recht auf Feierlaune andererseits als unverrückbare Positionen verteidigt. Das spiegelt sich auch darin, dass der Konflikt oft zwischen Alt und Jung ausgefochten wird. Althergebrachte Lebensweisen und eine neue Auffassung von Lebensqualität stehen sich konträr gegenüber. Mit der Konfliktlösung befasste Mediatoren sehen sich Parteien gegenüber, deren Konsensbereitschaft gegen Null geht.

Mediterranisierung als Einflussfaktor für ein neues Lebensgefühl wird immer stärker die Konfliktbewältigung in allen Formen ihres Wirkens beeinflussen. Sie zu erkennen, zu verstehen und letztendlich zu bewältigen wird Aufgabe der Stadtgesellschaft werden. Inwieweit Mediation Menschen dabei helfen kann, Auswirkungen und Begleiterscheinungen der Mediterranisierung erfolgreich zu begegnen, muss sich erst zeigen.

Bildnachweis: AKIM Allparteiliches Konfliktmanagement in München – AKIM im Gespräch am Gärtnerplatz
https://www.muenchen.de/rathaus/Stadtverwaltung/Sozialreferat/Wohnungsamt/akim.html

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Markus Weinkopf M.A.

Zertifizierter Mediator

Der Autor Markus Weinkopf ist Architekt und Stadtplaner. Er studierte in Wien an der Technischen Universität Architektur und arbeitete später in einem Architekturbüro, das er mehrere Jahre als Büroleiter führte. 2006 wurde er dort Partner und absolvierte im gleichen Jahr eine Ausbildung zum Mediator für den Bereich Planen, Bauen und Umwelt bei der Bayerischen Architektenkammer. Seinen Master of Arts (M.A.) für Mediation legte er an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder ab. Weitere Erfahrungen hat Markus Weinkopf in Wirtschafts- und Gemeinwesenmediation sowie als Moderator von Bürgerbeteiligungsverfahren. Wegen seiner architektonischen und baulichen Expertise ist Markus Weinkopf ein gefragter Mediator für den öffentlichen und privaten Bausektor. Markus Weinkopf ist seit 1993 ehrenamtlich für das psychosoziale Zentrum REFUGIO München aktiv, u.a. im Vorstand des Träger- und Fördervereins. REFUGIO ist eine NGO, die sich vor allem um traumatisierte Flüchtlinge kümmert.

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