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Neurobiologie und Mediation


Prof. Dr. Roland Fritz M.A. - 26. Oktober 2021

Wie lassen sich Erkenntnisse der Hirnforschung nutzbringend in ein Mediationsverfahren einbringen?

Die olympischen Goldträume von Fünfkämpferin Annika Schleu zerplatzten beim Springreiten von Tokio im Jahre 2021, als es ihr nicht gelang, das ihr zugeloste Pferd über den Parcours zu leiten. Es war das geschehen, was der nicht mit dem Reitsport vertraute Zuschauer gemeinhin übersieht: Nicht die Reiterin entscheidet, ob es gemeinsam über ein Hindernis geht , sondern letztlich das Pferd. Damit steht die Frage im Raum: Wie kann die Reiterin das Pferd beeinflussen und leiten, damit es sie sicher über die Hindernisse bringt?

Dr. Hannes Horngacher, Direktor der Akademie für Neurowissenschaftliches Bildungsmanagement, nahm das „Pferd – Reiter“ Verhältnis zum Ausgangspunkt seiner mehrstündigen Fortbildung zum Thema „Neurobiologie und Mediation“, die er im Rahmen des diesjährigen adribo Gesellschaftertreffens in Salzburg vor den dort angereisten Mediatorinnen und Mediatoren hielt. „Wenn man weiß, wie die Abläufe im Gehirn funktionieren, dann kann man dieses Wissen auch nutzbringend in einer Mediation einsetzen“, so das Credo von Hannes Horngacher. Denn auch im Gehirn gebe es Reiter und Pferdchen…

In einer ersten Session widmete sich Hannes Horngacher zunächst dem Aufbau des Gehirns, erläuterte dessen Funktionen sowie die aktuellen Forschungsergebnisse hierzu und erklärte die Bedeutung und Wirkungsweisen der verschiedenen Neurotransmitter, der Neuropeptide und der Neurohormone.
Im zweiten Teil seiner Fortbildung stellte er das limbische System und dessen Zusammenwirken mit dem Frontalcortex in den Mittelpunkt seiner Ausführungen. In diesem Zusammenhang nahm er auch wieder auf die „Reiter-Pferdchen“ Symbolik Bezug und machte deutlich, wie wichtig es für Erfolge in Führungsfragen, aber auch in Mediationen sei, dass das limbische System hinreichend bedient werde. Denn das limbische System habe, so beschreibt es Horngbacher unter Verweis auf Roth, gegenüber dem rationalen corticalen System das erste und letzte Wort. Der präfrontale Cortex als oberstes Kontrollzentrum über das Gehirn verteile über Vernunft und Verstand zwar Ratschläge, jedoch liege die Letztentscheidung beim limbischen System. Dieses sei die bestimmende Instanz, beispielsweise dazu, ob es sich um eine „emotional akzeptable“ Entscheidung handele. Einerseits gebe es also ein rationales Abwägen und Überlegen von Zielen, Motiven , Handlungen und Alternativen, es gebe jedoch kein rationales Handeln. Das bedeute, dass am Ende eines noch so langen Prozesses des Überlegens, Nachdenkens und Abwägens stets ein emotionales Für oder Wider stehe. (siehe die PPP-Folien hier).

Diese Erkenntnisse für den mediatorischen Prozess zu nutzen heißt, dass bereits dem Beziehungsaufbau des Mediators/der Mediatorin zu den Medianden eine höchst sensible und wichtige Funktion zukommt, gilt es doch, gleich zu Beginn über den emotionalen Bereich Zugang zu den Beteiligten zu erreichen. Oder wie es in der Kommunikationswissenschaft formuliert wird: “You never get a second chance to make a good impression”. Aber auch im weiteren Verlauf des Mediationsprozesses sollte sich der Mediator/die Mediatorin bewusst machen, dass man es – noch dazu in der regelmäßig emotional aufwühlenden Situation einer Mediation – mit Menschen zu tun hat, die in hohem Maße unbewusst und emotional gesteuert sind. Wenn es daher gelingt, im Rahmen von Phasen, Methoden und Techniken rationale und vernünftige Überlegungen so zu platzieren, dass zugleich die emotionale Seite der Medianden positiv stimuliert wirf, dann erhöht dies deren Veränderungsbereitschaft und damit die Chancen für eine erfolgreiches Mediationsverfahren!

Neurobiologie und Mediation

Die hier nur kursorisch dargestellten Ausführungen von Hannes Horngacher lassen sich in seinem praktischen und kompakten Bändchen „Neuroleading, Praktische Tipps zum gehirngerechten Führen von Teams und Menschen“ (2. Aufl., Verlag: FQL Publishing, München, ISBN 978-3-947104-20-8) trefflich vertiefen und nacharbeiten.

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Prof. Dr. Roland Fritz M.A.

Zertifizierter Mediator, WirtschaftsMediator, Supervisor
Rechtsanwalt


Der Autor Prof. Dr. Roland Fritz verfügt über eine lange juristische Karriere. Er war als Richter tätig, arbeitete einige Jahre beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, wurde Präsident des Verwaltungsgerichts Gießen, später Präsident des Verwaltungsgerichts in Frankfurt/Main und ist seit 2002 ebenfalls Honorarprofessor an der Justus-Liebig-Universität in Gießen. Seit 2013 ist er als Rechtsanwalt zugelassen. Roland Fritz ist Absolvent des Master-Studiengangs Mediation an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. Er war seit 2006 als gerichtlicher Mediator in der hessischen Verwaltungsgerichtsbarkeit aktiv und ist nun als freiberuflicher Mediator, Supervisor und Trainer für Richter, Rechtsanwälte sowie Studenten tätig.

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