Besonders viel getan hat sich nicht während der Regierungszeit der „Ampel“ in Sachen Bürgerbeteiligung und konsensuale Konfliktbeilegung. Zwar hatten SPD, GRÜNE und FDP
in ihrem Koalitionsvereinbarung an etlichen Stellen eine Verbesserung der Beteiligungsformate vorgesehen (vgl. hier). Eine konkreten Umsetzung jedoch war – sieht man einmal von der Novellierung des § 25 Abs. 3 VwVfG ab (vgl. hier) – während der vergangenen Jahren eher Mangelware.
Und was ist nun von der neuen Koalition aus CDU/CSU und SPD zu erwarten? Wohl noch weniger, wenn man deren Koalitionsvertrag in den Blick nimmt (vgl. hier):
Die mit „Verantwortung für Deutschland“ von den Koalitionären überschriebene Vereinbarung enthält nur an wenigen Stellen Hinweise auf Partizipation und Beteiligung – und wenn, dann überwiegend nur einschränkend:
– So findet sich im Kapitel 1.3 Verkehr, Infrastruktur, Bauen und Wohnen u.a. die Zwischenüberschrift „Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung“ (Zeile 680), in deren Kontext in Zeile 689 zu lesen ist „Erörterungstermine werden fakultativ ausgestaltet“ und in Zeile 695 „Beteiligungen der Träger öffentlicher Belange und der Öffentlichkeit sowie Prüfungen finden nur einmal statt“.
– Im Kapitel 1.4 Klima und Energie und nach der Zwischenüberschrift „Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung“ (Zeile 970) wird sodann in Zeile 971 ausgeführt: „Entscheidend für den Erfolg der Energiewende sind Entbürokratisierung sowie schnelle und bessere Planungs- und Genehmigungsverfahren“.
– Im Kapitel 2.2 Bürokratierückbau, Staatsmodernisierung und moderne Justiz heißt es nach der Zwischenüberschrift „Kulturwandel und moderne Führung“ (Zeile 1834) in Zeile 1839 „Wir werden ein ressortübergreifendes Programm zur Führungskräfteentwicklung einführen und fördern Hospitationen zur Stärkung der Praxisorientierung“.
Im gleichen Kapitel wird nach der Zwischenüberschrift „Gute Gesetzgebung“ (Zeile 1865) in Zeile 1869 ausgeführt „Bereits in der Frühphase von Gesetzgebungsverfahren werden wir Praxischecks durchführen und Betroffene sowie Vollzugsexperten und -expertinnen aus Bund,Ländern und Kommunen mit angemessenen Fristen (in der Regel vier Wochen) beteiligen“.
Und nach der Zwischenüberschrift „Stärkung der repräsentativen Demokratie“ (Zeile 1892) wird sodann in Zeile 1896 die Aussage getroffen: „Ergänzend zur repräsentativen Demokratie setzen wir dialogische Beteiligungsformate wie zivilgesellschaftliche Bürgerräte des Deutschen Bundestages fort.“
– Im Kapitel 2.3 Digitales und nach der Zwischenüberschrift „Spitzenstandort für Zukunftstechnologien“ (Zeile 2256) wird schließlich in Zeile 2273 ausgeführt: „Wir stellen eine angemessene Beteiligung der Zivilgesellschaft und Gewerkschaften sicher“.
All dies ist wahrlich nicht viel und verdeutlicht die geringe Bedeutung, die der Bürgerbeteiligung und zugleich der konsensualen Streitbeilegung von den Koalitionären aktuell beigemessen wird. Stattdessen scheint „Beschleunigung“ das Zauberwort zu sein, findet es sich doch an zahlreichen Stellen des Koalitionsvertrages wieder. Als hätten nicht vielfach durchgeführte Beteiligungsverfahren deutlich gemacht, dass gerade diese – frühzeitig ausgeführt – letztlich dadurch zu einer Verfahrensbeschleunigung führten, weil zum einen Fehler vermieden und zugleich Prozesse obsolet wurden.
Zum anderen wird im Koalitionsvertrag, wenn es um die Justiz geht (vgl. u.a. Kapitel 3.2 Recht), nicht in den Blick genommen, dass in den kommenden Jahren eine Vielzahl von Richterinnen und Richtern aus Altersgründen ausscheiden werden (vgl. Stellungnahme Deutscher Richterbund, hier) und bislang unklar ist, ob und wie dieser Aderlass durch Neueinstellungen ausgeglichen werden kann (vgl. hierzu und zur insoweit einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG bei überlanger Verfahrensdauer: Schaumberg, „Alle Räder stehen still“, juris – Die Monatszeitschrift 2023, 466). Da hätte es nahegelegen,
- einerseits das bislang schon bestehende System des Güterichters (§ 278 Abs. 5 ZPO) zu stärken, bspw. durch Veränderung des § 253 Abs. 3 Nr. 1 ZPO in eine zwingende Vorschrift, verpflichtende Fortbildungen zum Güterichterverfahren für die gesamte Richterschaft und besondere Wertschätzung für diejenigen Richter, die Verweisungen ins Güterichterverfahren vornehmen (vgl. zum Güterichterverfahren hier),
- andererseits die Vorschrift des § 278a ZPO so zu novellieren, dass sie mit Leben gefüllt werden kann. Eine Vielzahl von ausgebildeten Anwaltsmediatoren stünde bereit, sich schwieriger Fälle anzunehmen und Konfliktparteien bei einer konsensualen Einigung zu unterstützen. Der Umstand, dass ihnen als Organe der Rechtspflege besondere Verpflichtungen obliegen, müsste dabei entsprechend herausgestellt werden. Dieses Potential nicht länger ungenutzt zu lassen, sondern gezielt einzusetzen, könnte ein wirkungsvoller Baustein zur Entlastung der Justiz darstellen. In diesem Kontext könnte auch an den Einsatz stationärer KI als Hilfe für den zuständigen Richter wie auch an Compliance-Unterstützung bei der Einbindung von Anwaltsmediatoren gedacht werden.
- Schließlich könnte die Verwirklichung eines „Kompetenzzentrums für Mediation, Streitschlichtung und Beratung“ weiterhelfen, ein zwar schon vor etlichen Jahren unterbreitetes Projekt, das jedoch in Anbetracht der oben dargestellten Veränderungen, die auf die Justiz zukommen werden, von seiner Aktualität und Bedeutung nichts eingebüßt hat (vgl. hier).
So bleibt im Moment nur die Hoffnung, dass die Person, die zukünftig im sozialdemokratisch verantworteten BMJ das Sagen haben wird, sich der hier angesprochenen Probleme annehmen und unabhängig vom Koalitionsvertrag der außergerichtliche Konfliktbeilegung die notwendige Unterstützung angedeihen lassen wird, die erforderlich ist, um auch zukünftig rasche, konsensuale und zugleich Interessen und Bedürfnisse der Beteiligten berücksichtigende Lösungen zu ermöglichen.