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Zeitenwende in der Mediation?


Günter Erdmann - 31. Januar 2023

Die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) kürte im Dezember letzten Jahres den Begriff „Zeitenwende“ zum Wort des Jahres 2022 und erläuterte, dass dieser Begriff

„im Allgemeinen den Übergang in eine neue Ära“ bezeichne.

Als Grundlage dafür spürbar für jeden: Pandemie und deren Folgen, Krieg in der Ukraine, Wirtschafts- und insbesondere Energiepolitik mit Gaspreisbremse, Inflation, Lieferkettenprobleme, internationale Beziehungen insbesondere China: alles Bereiche, die zur „neuen Normalität“ geführt haben. Zugleich eine mit vielerlei Ängsten und aufbrechenden Konflikten verbundenen Situation und eine Gemengelage, die zwangsläufig zu Meinungsverschiedenheiten, Auseinandersetzungen und Streitigkeiten führen muss.

Es liegt also die Vermutung nahe, dass diese Situation zu einer Erhöhung der Eingangszahlen der streitigen Auseinandersetzungen bei Gericht, aber auch im Bereich alternativer Streitbeilegung führen muss. Aber die Realität sieht zumindest derzeit und in den zurückliegenden Jahren anders aus: Die Analyse der Eingangszahlen in allen Gerichtsbarkeiten, namentlich in der ordentlichen Gerichtsbarkeit, zeigt einen deutlichen Rückgang im Vergleich zu den Spitzenwerten vergangener Jahre und diese sind insgesamt nachhaltig rückläufig (vgl. Kilian, Rückläufige Eingangszahlen in der Justiz, AnwBl. 2022, 418 ff). Allerdings basiert die Auswertung im Wesentlichen auf Zahlen des Jahres 2020 und das Jahr 2021 ist noch nicht ausgewertet.

Nach einer in diesem Aufsatz  zitierten Umfrage des Soldan Institutes wird aus der Sicht der befragten Rechtsanwälte  zu den rückläufigen Eingangszahlen genannt, dass Mandanten  stärker als in der Vergangenheit an einer schnellen Konfliktlösung anstelle eines langwierigen Gerichtsverfahrens interessiert sind und Rechtssuchende aus Kostengründen bzw. wegen des Kostenrisikos häufiger von der Inanspruchnahme der Gerichte absehen. Als weiterer Grund wird das fehlende Vertrauen in die staatlichen Gerichte genannt, zu fairen Ergebnissen zu gelangen.

Andererseits gibt es nach dem jährlich erscheinenden ROLAND Rechtsreport 2022 aus dem Januar 2022 nach wie vor hohe Vertrauenswerte der befragten Personen (1.069 Personen) in das Justiz- und Rechtssystem (2019: 33 %, 2020: 57 % und 2021: 44 %). Größte Kritik wird an der langen Verfahrensdauer geübt, es bestehen Zweifel an der Gleichbehandlung und es wird die Komplexität der Gesetzgebung kritisiert. Weiter bewerten die Befragten die Aussichten außergerichtlicher Streitbeilegung überwiegend positiv. Immerhin sind 56 % der Befragten überzeugt, dass sich mit der außergerichtlichen Streitbeilegung viele Konflikte lösen lassen, nur 31 % waren skeptisch.

Spricht eigentlich alles für die weitere Verbreitung und den Einsatz alternativer Konfliktlösungsmethoden, insbesondere natürlich der Mediation. Aber so ist es leider nicht:

Obwohl der Zugang zu Mediationsverfahren durch eine Vielzahl von Anbietern und Mediatoren sowie Organisationen und Verbänden ermöglicht wird, hält sich die Nachfrage noch immer deutlich in Grenzen.


Bedauerlicherweise stehen aktuelle Zahlen über die Anzahl der durchgeführten Verfahren nicht zur Verfügung, möglicherweise auch wegen der Gewährleistung der Vertraulichkeit. In der Handelskammer Hamburg werden nach einem unveröffentlichten Bericht jährlich 20 – 40 Mediationsverfahren durchgeführt, angeboten werden diese und gleichgelagerte konsensuale Dienstleistungen zudem von etwa 90 (freiberuflich tätigen) Mediatorinnen und Mediatoren. Soweit in den Gerichtsbarkeiten Güterichterverfahren durchgeführt werden, ist auch hier, wie es im Güterichterforum heißt, eine „Stagnation auf niedrigem Niveau“ festzustellen (hier); vgl. in diesem Zusammenhang zudem den Beitrag von Fritz, 6. Güterichtertag Baden-Württemberg (hier).

Wir von adribo haben in 2022 mit den beteiligten Partnern und unserem breiten Leistungsspektrum weit über 100 „Verfahren“ durchgeführt und begleitet, allerdings meist nicht Mediationsverfahren im strengeren Sinne. Dabei hat sich vielfach gezeigt, dass die Konflikte, gerade auch in Wirtschaftsmediationen, intensiver und die Auseinandersetzungen härter geworden sind.


Man sieht also, es gibt noch viel zu tun und von einer Zeitenwende in der Mediation sind wir noch weit entfernt, auch wenn sich immer wieder neue Bereiche, z.B. für die Wirtschaftsmediation, eröffnen (vgl. Neukirchner, Mediation im M&A-Prozess bei Familienunternehmen, Konflikt Dynamik 4/2022, S. 276 ff.).

Ein Übergang in eine neue Ära ist auch dies allerdings noch nicht.

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Günter Erdmann

Zertifizierter Mediator

Der Autor Günter Erdmann ist Rechtsanwalt und WirtschaftsMediator bei der mittelständischen und multidisziplinären Partnerschaft SCHLARMANNvonGEYSO in Hamburg.

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