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Rede von Herrn Dr. Georges Ravarani

Anwalt, Mediator, Richter, drei Berufe, eine Herausforderung: Legitimität

(Ich bedanke mich recht herzlich bei den Veranstaltern und insbesondere meinem guten Freund Roland, dass ich vor diesem informierten Publikum das Wort nehmen darf. Die Ehre ist umso größer, da ich von Mediation keinen blassen Schimmer habe. Ich war in meinem Berufsleben Anwalt und Richter, in beiden Berufen habe ich Konflikte zu schlichten versucht, ich habe mich eher als Schiedsrichter, denn als Richter gesehen, aber ein Blick in dieses schlaue Buch, das heute vorgestellt wird, hat mich gelehrt, dass Mediation alles andere als bloße Schlichtung ist. Ich musste mir deshalb etwas anderes einfallen lassen und mein heutiges Thema gehört demnach eher in die Kategorie Meditation als Mediation: ich will Ihnen in der beschränkten Zeit, die mir gegeben ist, einige Gedanken zur Legitimität des Anwalts, des Mediators und des Richters vortragen)

So verschieden sie erscheinen und letztendlich auch sind, Anwälte, Mediatoren und Richter haben einiges gemeinsam: alle drei sind damit beauftragt, zur Lösung der Konflikte anderer beizutragen. Selbstverständlich sind die Unterschiede ebenfalls beachtlich: der Anwalt setzt sich für seine Mandanten ein, der Richter entscheidet, wer von den Kontrahenten Recht bekommt und der Mediator, irgendwie in der Mitte angesiedelt, hilft den Parteien, selbst eine einvernehmliche Lösung zu finden. Zentral und wesentlich ist der Kontakt mit den Rechtsuchenden.

Jeder der drei kann ein ausgefülltes und pflichtbewusstes Berufsleben führen, ohne sich je die Frage nach seiner Legitimität zu stellen. Und in der Tat wird von manchen sogar ausdrücklich davon abgeraten, seine Zeit mit solchen Infragestellungen zu vergeuden.

Stellt man sich jedoch ernsthaft die Frage nach seiner eigenen Legitimität, kann man schnell ins Grübeln geraten.

Schon der Begriff an sich ist nicht eindeutig belegt. Gemäß einer in einem Lexikon juristischer Begriffe gefundenen Definition handelt es sich um die „Konformität einer Institution mit einer höheren juristischen oder ethischen Norm, welche von der Gemeinschaft als wesentlich angesehen wird und die Autorität dieser Institution moralisch und politisch annehmbar macht“. So umständlich diese Definition auch ist, so macht sie doch zwei Hauptaspekte der Legitimität sichtbar, und zwar einerseits die Legitimität „von oben nach unten“, welche ihren Ursprung in einer höheren politischen oder moralischen Autorität hat, und andererseits die Legitimität „von unten nach oben“, die Zustimmung, welche von der Gemeinschaft ausgeht. Um es stark zu vereinfachen kann man demnach im Wesentlichen zwei Aspekte der Legitimität unterscheiden:

  • Auf der einen Seite die legale Legitimität: man bekleidet einen Posten oder übt eine Funktion aus, weil man dank einer gesetzlichen Grundlage entweder lebenslänglich oder auf Zeit das Recht genießt, die betreffende berufliche Tätigkeit auszuüben. Dies ist die weniger problematische Form der Legitimität, gesetzlich gesichert und schwer infrage zu stellen.
  • Es stellt sich aber auf der anderen Seite und darüber hinaus die Frage nach dem viel heikleren und schwer zu umreißenden Aspekt der Legitimität durch Zustimmung: alle drei Berufe, und sei ihre legale Legitimität noch so unanfechtbar, müssen sich dieser Frage stellen: verdiene ich meine Position weiterhin und langfristig?

Ein Beispiel: dem Ausüben verschiedener Funktionen geht eine Wahl voraus. In Deutschland ist das bei Richtern ja der Fall. Für die anfängliche Legitimität ist das unproblematisch. Jedoch kennt die Situation in den Vereinigten Staaten sehr wohl die Beziehung zwischen der legalen und der Zustimmungs-Legitimität: in den USA werden die Richter in der Hälfte der Bundesstaaten gewählt, in manchen sogar direkt von den Bürgerinnen und Bürgern. Sie müssen Wahlkampf machen, Gelder sammeln, ein Programm vorlegen (für oder gegen die Todesstrafe, Abtreibung usw.). Wenn sie sich später nicht an die gemachten Versprechen halten, stellt sich nicht das Problem ihrer legalen Legitimität – sie sind für eine gewisse Zeit unanfechtbar legitim auf ihrem Posten – jedoch stellt sich dann die Frage nach der Zustimmung während der Ausübung ihres Amtes. Die Parallele mit der Politik drängt sich auf: muss sich ein Politiker, der zwar für 4 Jahre gewählt ist, in Umfragen jedoch nach zwei Jahren sehr schlecht abschneidet, sich keine Fragen über seine Legitimität stellen?

Das Problem ist demnach, über die legale initiale Legitimität hinaus, der Erhalt derselben während der ganzen Dauer der Ausübung des Amtes. Warum kommen Menschen zum Anwalt oder Mediator und, vor allem, warum kommen sie nicht oder nicht mehr? Ähnlich muss sich der Richter fragen, ob er mit seinen Urteilen die Zustimmung der Parteien verdient, ob seine Urteile als gerecht empfunden werden und seine Arbeit effizient ist. Alle drei brauchen, außer ihrer legalen Position, das längerfristige Vertrauen der Mandanten oder Parteien.

Was also erfordert dieser zweite Aspekt der Legitimität, um über die legale Legitimität hinaus den Erhalt der anzustrebenden Zustimmung zu sichern?

Über berufsspezifische Aspekte hinaus gilt für jeden der drei angesprochenen Berufe: Professionalität. Dazu gehört in erster Linie eine solide Ausbildung, ohne die eigentlich der Zugang zum Beruf verwehrt werden müsste. Interessant ist der Begriff des zertifizierten Mediators dem, ähnlich dem Fachanwalt, eine besondere Eignung – und folglich Legitimität – bescheinigt wird.

Darüber hinaus müssen Anwalt, Mediator und Richter ihre Legitimität täglich neu erarbeiten, ja verdienen, ohne sich je auf irgendwelchen Lorbeeren ausruhen zu können. Wissen veraltet schnell. Es ist unerlässlich, sein Wissen stets auf dem neuesten Stand zu halten, sich fortzubilden.

Jeder der drei muss in der Ausübung seiner Tätigkeit Vernunft walten lassen, seine Handlungen müssen nachvollziehbar sein. Jeder der drei muss – unter unterschiedlichen Voraussetzungen – überzeugen. Nur so wird ihm der nötige Respekt gezollt. Durch die Position an sich besteht ein gewisser anfänglicher Kredit, der aber durch die tägliche Arbeit erhalten bleiben muss. Es ist ein bisschen wie bei einem Bankkonto. Ein Kredit kann schnell verspielt werden kann. Stetig muss das Konto im Haben gehalten werden.

Anwälte müssen ihren Kredit bei der Klientel bewahren, sonst werden sie arbeitslos. Sie müssen aber auch ihre Glaubwürdigkeit bei der Richterschaft pflegen, denn ist dort das Ansehen ramponiert, geht’s im Prinzip auch mit den Mandaten bergab. „Zustimmung erarbeiten, um Vertrauen zu bewahren“.

Bei Richtern werden üblicherweise Unabhängigkeit und die Unparteilichkeit als die höchsten Güter angesehen. Beide Begriffe können m. E. letztendlich auf einen einzigen, nämlich den der Unparteilichkeit reduziert werden, da die Unabhängigkeit – von den Parteien, von politischen Akteuren, von der eigenen Hierarchie – einzig darauf zielt, die Unparteilichkeit zu gewährleisten. Der Richter muss kompromisslos seine Unparteilichkeit pflegen, sonst verliert er seine Daseinsberechtigung. Denn nur die unterscheidet ihn vor den anderen Staatsgewalten. Er ist legitim durch Unparteilichkeit. Ein gewähltes Parlament hat eine andere Legitimität, überspitzt gesagt kann es den Willen von 51% durchsetzen; Gerichte müssen die Rechte der 49% bewahren. Der Richter muss überdies das Verfahren fair durchführen, Waffengleichheit garantieren, den Parteien das Gefühl geben, gleich behandelt zu werden.

Ein Wort über den internationalen Richter. Dessen Legitimität ist fragiler als jene eines nationalen Richters, der Teil eines soliden Staatsapparats ist, weil sein Gericht durch einen internationalen Vertrag geschaffen worden ist, der aufgekündigt werden kann. Ein Beispiel: die Richter des Straßburger Menschengerichtshofs werden von der Parlamentarischen Versammlung gewählt, was ihnen im Prinzip eine gewisse Legitimität verleiht oder wenigstens jene mundtot machen sollte, die Legitimität nur durch Wahl anerkennen. Die große Herausforderung eines jeden Richters am EGMR besteht darin, zu vermeiden, einerseits sein Land „erziehen“ zu wollen und überall Verletzungen der EMRK zu finden und andererseits sein Land „beschützen“ zu wollen und alles daran zu setzen, um Verurteilungen seines Landes zu vermeiden.

Steht der Richter über den Parteien, so steht der Mediator zwischen ihnen. Auch er muss sich Vertrauen erarbeiten und es bewahren, sich emphatisch zeigen, die Parteien umfassend informieren und gleichbehandeln. Unabhängigkeit und Neutralität – ähnlich wie beim Richter – stehen im Zentrum seiner Tätigkeit. Will er vermitteln, so muss er in der Mitte stehen.

Ein Wort zur Legitimität nicht der Individuen, sondern der kollektiven Legitimität des ganzen Berufsstands: auch der Berufsstand an sich genießt die ihm durch Gesetz gebührende Legitimität, welche aber unter gewissen Umständen auf dem Niveau der Zustimmung infrage gestellt werden kann. Man kann in diesem Zusammenhang einige historische Beispiele anführen, wo ein ganzer Berufsstand sich einer illegitimen Macht unterworfen hat und damit seine eigene, kollektive Legitimität, zumindest vorübergehend verspielt hat.

Darüber hinaus besteht ein Berufsstand aus individuellen Mitgliedern, von welchen jedes einzelne zum Ruf des Ganzen beiträgt. Gibt es also zu viele schwarze Schafe, kann das Vertrauen in den ganzen Berufsstand darunter leiden. Es scheint demnach unerlässlich, dass sich ein Berufsstand die Instrumente gibt und auch anwendet, mittels derer er das Vertrauen der Bürger – und dadurch seine Legitimität – bewahr t.

Was Gerichte anbelangt liegt es in der Natur der Sache, dass diese Fehlentscheidungen treffen. Sonst bräuchte es ja keine zweite oder dritte Instanz zu geben. Und auch die kann sich irren, Kurskorrekturen vornehmen. Dies an sich schadet nicht ihrer Legitimität. Häufen sich jedoch krasse Fehlentscheidungen und wirkliche oder gefühlte Kompetenzüberschreitungen, so leidet die Legitimität auf Dauer unweigerlich darunter. Dies gilt insbesondere für internationale Gerichte. Der Straßburger Gerichtshof sieht sich einer ständigen Infragestellung seiner Legitimität ausgesetzt. Da vor dem EGMR die beklagte Partei immer und unweigerlich ein Staat ist, hat dieser nach dem Feststellen einer Verletzung der Konvention in der Regel keine gute Presse im betroffenen Land und regelmäßig werden Stimmen laut, die ein Verlassen der Konvention fordern. Ginge es aber so weit, dass sich der Gerichtshof aus Angst vor einem solchen Schritt in seinen Urteilsfindungen beeinflussen ließe, hätte er endgültig seine Legitimität und folglich seine Daseinsberechtigung verloren.

Abschließend kann man sich fragen, ob es ein Rezept gibt, seine Legitimität, das Vertrauen, die Zustimmung der Bürger während der ganzen beruflichen Tätigkeit zu bewahren. Vielleicht indem man sich nie auf seinen Lorbeeren ausruht, sich immer wieder in Frage stellt, mit einer gewissen Bescheidenheit an seine Aufgaben herangeht.