Nach oben scrollen
© 2019, adribo     |     Modernes Konfliktmanagement.     |     urid

Heißes Eisen: Konflikte im Krankenhaus


Nicole Etscheit M.A. - 25. Oktober 2022

Wenn es um das Wohlergehen und die Gesundheit der Familie geht, werden Angehörige und Freunde der Patienten schnell dünnhäutig: der „Routineeingriff“ kann zum emotionalen Kraftakt werden, und unsere Nerven auf eine Belastungsprobe stellen, wenn die Operation und deren Verlauf sich anders entwickelt als vorhergesagt. Eine starke Blutung infolge einer Gefäßverletzung zwingt z.B. zu einer Nachoperation mit weiterer Narkose, die geplante OP dauert viele Stunden länger als veranschlagt und die Angehörigen warten stundenlang, ohne Information, warum der Patient nach der Operation noch nicht wieder auf der Station ist – bange Stunden, die wie eine Ewigkeit wirken. Und auch der Patient selbst weiß über den Verlauf nichts.

Selbst wenn die Komplikation im Bestfall ohne (nachteilige) Folgen ist, stellen sich für Patientinnen und Patienten und die Angehörigen Fragen: Hat der Eingriff den gewünschten Erfolg gebracht? War die Komplikation ein Behandlungsfehler? Wäre der Fehler vermeidbar gewesen? Wurde über die Risiken angemessen aufgeklärt? Welche Folgen hat der abweichende Operationsverlauf?

Patientinnen und Patienten, die mit ihrer Behandlung im Krankenhaus unzufrieden sind, beschreiten häufiger denn je die gerichtliche Auseinandersetzung mit dem Ziel, Schadenersatz und/oder Schmerzensgeld zu erlangen. Die Zahlen steigen jährlich an: Im Jahr 2020 beliefen sie sich auf rund 13.100, im Jahr 2018 waren es noch 10.647 (vgl. Statistische Erhebung der Bundesärztekammer). Diese Konflikte sind von einem besonderem Machtgefälle geprägt: Patientinnen und Patienten fühlen sich dem Wissen der „Halbgötter in Weiß“ ausgeliefert, Ärztinnen und Ärzte fürchten die Gefahr, fälschlich eines Behandlungsfehlers bezichtigt zu werden, und das Management des Krankenhauses fürchtet um den guten Ruf der Einrichtung. In diesem Spannungsfeld führt das Verhalten der Beteiligten häufig zu einer manifesten Vertiefung des gegenseitigen Misstrauens und der Ausweitung des Konflikts: Ärztinnen und Ärzte sind wenig auskunftsfreudig in Bezug auf den vom Normalfall abweichenden Operationsverlauf; dies wird von Patientinnen und Patienten als „mauern“ empfunden, was den Eindruck für das Vorliegen eines Behandlungsfehlers verstärkt. In Fällen, in denen es zu Gerichtsverfahren kommt, ist der Konflikt oft verhärtet und mit hoher Emotionalität aufgeladen. Das Krankenhaus und deren Mediziner haben Angst vor einem Ansehensverlust und Patientinnen und Patienten erleben einen Prozess aufgrund der Beweislastregeln (d.h. wer einen Schaden behauptet, muss ihn beweisen.) als undurchsichtig und ungerecht.

Die Erfahrung zeigt, dass häufig an der falschen Front gekämpft wird. Denn Konflikte im Zusammenhang mit einer Krankenhausbehandlung sind meist nicht von vornherein auf einen Anspruch auf Schadenersatz oder Schmerzensgeld gerichtet. Häufig fühlen sich die Patientinnen und Patienten nur nicht gehört und mit ihren Ängsten und Unsicherheiten in Bezug auf ihre Gesundheit allein gelassen. Wo es um Leib und Leben geht, ist Empathie besonders wichtig und kommt im straffen Krankenhausablauf zu kurz. Was im technisierten, spezialisierten und rationalisierten Medizinbetrieb oft nicht möglich ist, kann im Konfliktfall eine neutrale Vermittlungsperson, eine Mediatorin oder ein Mediator durch die Führung eines strukturierten und lösungsorientierten Gesprächs mit den Konfliktbeteiligten erreichen.

Patientinnen und Patienten, die sich schlecht behandelt fühlen, haben zunächst das Bedürfnis, etwas über die Operation, den Verlauf und die Folgen aus erster Hand zu erfahren, es geht um Klarheit und Transparenz und um den Raum, über die erfahrenen Defizite und Ängste sprechen zu können und ggf. eine Entschuldigung für die vorenthaltenen Informationen seitens der Klinik zu erhalten. Die Bereitschaft aufseiten des Ärzteteams, das operative Vorgehen zu erklären, Anteilnahme am Krankheitsverlauf zu nehmen und den Patientinnen und Patienten das Gefühl zu geben, dass ihre gesundheitlichen Sorgen und Unsicherheiten ernst genommen werden, kann in vielen Fällen zur Lösung des konkreten Konflikts führen.

Viele Konflikte im Zusammenhang mit einer Behandlung im Krankenhaus könnten sicherlich so zeitnah, kostengünstig und zufriedenstellend ohne Gerichtsverfahren oder Schlichtungsstelle, die eine neutrale und unabhängige medizinische Begutachtung der ärztlichen Behandlung durchführt, gelöst werden. Es würde sich daher für die öffentlichen und privaten Krankenhausträger lohnen, im Rahmen ihres Beschwerdemanagements aktiver mit Hilfe von Mediation Konflikte mit Patienten und Patientinnen sowie deren Angehörigen zu lösen. Dies würde nicht nur zu einem größeren Verständnis und damit auch zu einer größeren Beruhigung bei den Patienten führen, es würde auch aufseiten der Krankenhäuser eine Rufschädigung vermeiden und Ressourcen einsparen, weil langwierige und teure Gerichtsprozesse, die große personelle Kapazitäten binden, vermieden werden könnten.

Also auf beiden Seiten eine in der Mediation anzustrebende Win-Win-Situation.

Author avatar

Nicole Etscheit M.A.

Zertifizierte Mediatorin, Rechtsanwältin
Fachanwältin für Familienrecht


Die Autorin Nicole Etscheit ist seit 1999 in Berlin als Rechtsanwältin im Familienrecht tätig. Ihre langjährige Erfahrung in diesem Bereich führte sie zur Mediation, die familiäre Konflikte durchweg besser und nachhaltiger lösen kann als unter Einbeziehung des Familiengerichts.

Zur ausführlichen Vita